Alljährlich zu Martini hat einst ein Lübecker Ratsdiener, der sogenannte Martensmann, ein Fass Wein an den Hof in Schwerin transportiert, - ein Brauch, der karnevalistisch ausgestaltet, das Interesse sowohl der Volkskundler als auch der Historiker fand, um so mehr als seine Ursprünge sich im Dunkel der mittelalterlichen Geschichte verlieren.

Es handelt sich wahrscheinlich, wie auch in anderen Fällen, um eine gegenüber Fürstlichkeiten übliche Sendung eines Weingeschenks durch die freie Reichs- und Hansestadt Lübeck aus nachbarlicher Freundschaft und guter Affektion, um sich die hohen Herrn geneigt zu machen. Während Lübeck den freiwilligen Geschenkcharakter der Gabe betonte, behauptete man von mecklenburgischer Seite, es handele sich um eine Verpflichtung Lübecks. Die jeweils bei der Weinübergabe kanonhaft gewechselten Worte, die diese beiden Standpunkte illustrierten, kehren in den Akten der Hansestadt Lübeck wohl ebenso wie in den Unterlagen des Schweriner Landeshauptarchivs die Jahrhunderte hindurch wieder. Auch Lübecker Beschwerden über die wenig ehrerbietige Behandlung ihres Boten und die finanzielle Seite der Sendung lassen sich anhand der Lübecker Akten nachvollziehen.

Wenn sich die Ursprünge auch nicht eruieren lassen, so kann doch das Ende des Martensmannsbrauches aufgrund umfangreichen Aktenmaterials beschrieben werden. Und ist nicht das Aufhören dieses uralten Brauches, der aus dem Mittelalter, sogar noch bis ins 19. Jahrhundert reichte, in gleicher Weise interessant wie die Frage nach den Ursprüngen?

1802 hatte die Reichsstadt Lübeck die traditionelle Weinlieferung an den holsteinischen Amtmann in Segeberg durch einen Vergleich mit dem dänischen König abläsen können. Es lag nahe, ebenfalls zu versuchen, mit Mecklenburg zu einer vertraglichen Einigung zu kommen. Hinzu kam, dass der Martensmann Johann Friedrich Schultz 1803 von seiner Schweriner Reise berichtete, dass man am mecklenburgischen Hof gar nicht mehr mit einer Wein Lieferung gerechnet hatte, da im Rahmen des Reichsdeputationshauptschlusses die Frage des Priwalls nun auch eindeutig zugunsten Lübecks gelöst worden war.

Der Lübecker Bürgermeister Christian Adolf Overbeck hielt die mecklenburgische Zustimmung für die Abschaffung für sicher, denn die alte Sitte des Martensmannes sei "eine Geburt dunkler Zeiten" und fände bei der "heutigen Welt weder Empfehlung noch Unterstützung". Nun griff aber die große Politik von außen ein. 1805 kam es zum Durchzug russischer Truppen, 1806 und 1809 zu keiner Lübecker Weinlieferung, wenn auch die Lübecker sich schriftlich verpflichtet hatten, dass diese Unterbrechung keine Einstellung der Weinlieferung überhaupt bedeuten sollte. Darauf pochend begehrten die Mecklenburger im Jahr 1810 dann wiederum das traditionelle Fass Wein. Die Lübecker, nach Plünderung und Besetzung durch die Franzosen, wollten aber weder Geld zur Anschaffung eines Wagens und des Weingeschenks aufwenden, noch konnten sie aus personellen Gründen auf mehrere Tage einen Ratsdiener entbehren. Bei diesem Weintransport im Jahre 1810 blieb es denn auch vorerst, da die französische Besetzung und sodann die Zugehörigkeit Lübecks zum französischen Kaiserreich die Kontinuität der eigenstaatlichen Aktivitäten Lübecks - und zu diesen gehörte ja die zwischenstaatliche Geschenkaktion - unterband. Man überlegte, wie man den Wunsch des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin nach einem passenden Äquivalent erfüllen konnte. Denn dieser hatte die Hansestadt vor die Alternative gestellt: entweder Beibehaltung der Weinsendung, wenn auch in einem dem Zeitgeiste angemessenen Zeremoniell, oder ein wirklich nützliches Äquivalent für Mecklenburg, Wünsche von mecklenburgischer Seite wie die Rückgabe des Priwalls, die Aufhebung der den Lübeckern in Mecklenburg zugestandenen Zoll- und Akzisefreiheit oder die Aufgabe der Fischerei im Dassower See waren für Lübeck nicht annehmbar

Man dachte eher an die Abtretung der reitenden und fahrenden Post nach Wismar. Gelegentlich eines Aufenthalts des Lübecker Syndikus Gütschow am Hof des Herzogs Friedrich Franz I. in Ludwigslust, hatte dieser noch betont, dass er sich von dem Martensmann "ungern trenne". Er hatte extra für die Martensmann-Zeremonie 1808 einen "künstlich mit mancherlei Wappen und Sinnbildern geschliffenen großen gläsernen Pokal wieder machen lassen.“
In die Endphase der Verhandlungen konnte man erst nach dem endgültigen Abzug der Franzosen 1813 eintreten, da Lübeck nun wieder souverän über mögliche Äquivalente für die Ablösung der Weinlieferung bestimmen konnte. Dabei bedachte man sehr wohl, dass es auch andere Beispiele veralteter herkömmlicher Leistungen im deutschen Staatsrecht und im europäischen Völkerrecht gab, deren Abstellung von einer Seite unbefugte Eigenmacht war. "Schutzwehr der kleineren Staaten ist einzig die Heilighaltung bestehender Rechte und hergebrachter Verhältnisse". Es sei daher auch selbstverständlich, dass der Herzog auf seinem Recht bestünde, wie man das in Lübeck in ähnlicher Weise auch täte. Und so wurde man denn nach einigem Hin und Her auch handelseinig, die reitende und fahrende Post zwischen Lübeck und Wismar den Mecklenburgern zu überlassen, wobei allerdings noch Regelungen über die Entlohnung und die Pension des Lübecker Postmeisters Neeser sowie die Behandlung dieser Post im Lübeck im Lübeckischen Posthause notwendig wurden.

Im Dezember 1816 trafen dann der Mecklenburg-schwerinische Generalpostmeister von Lehsten und der Lübecker Syndikus Gütschow zusammen, um eine sogenannte Punktation, also eine Aufstellung der einzelnen Punkte der Konvention, abzufassen: - Der Großherzog verzichtet darin auf die "Martiniprästation", -der Postritt und die lübeckischen Anteile der Postfuhr von Wismar nach Lübeck und zurück gehen dagegen an Mecklenburg über - diese nun großherzoglichen Posten haben freie Ein- und Ausfahrt in Lübeck - der Großherzog erhält die Wismarer Post ständig und sorgt auch für ihre Verknüpfung mit der Rostocker und der pommerschen Post - das wären wohl die wichtigsten Paragraphen. Die Bestimmungen des Abkommens traten am 1. April 1817 in Kraft. Ein Geheimartikel, den beide Verhandlungspartner gelegentlich ihrer Konferenz verabredet hatten, enthielt den Hinweis, dem Großherzog nochmals eine Weinlieferung zukommen zu lassen, die dann auch in der ersten Hälfte des Februars 1817 abgesandt wurde, denn von Lehsten bestätigte den Empfang von fünf Kisten alten Rheinweins, davon vier größere, die er habe ins Palais bringen lassen. Er selbst war vom Großherzog zur Annahme einer Kiste für sich selbst autorisiert worden. Der Lübecker Gütschow erhielt zum Andenken an die nun erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen ein großherzogliches Präsent.

Damit war die wohl von beiden Seiten, wenn nicht als lästig, so doch als überholt zu bezeichnende Angelegenheit geordnet worden. Das Lübecker Äquivalent war anscheinend angemessen gewesen, wurden doch bei der Lübeck-Wismarer Post auch ältere rechtliche Unklarheiten beseitigt. Bedauert haben mögen höchstens die Schweriner, dass sie nun auf ein pittoreskes Ereignis im grauen Spätherbst verzichten mussten.

Die bei den Verhandlungspartnern unübersehbare konservative, ja restaurative Grundhaltung ist ebenso typisch, wie ihr traditionell-formelles Verhältnis zueinander es hat manche mittelalterlichen Relikte, wie z.B. die komplizierte Verteilung der Baulast der Dassower Brücke zwischen den beiden Großherzogtümern und Lübeck, noch bis ins 20. Jahrhundert leben lassen. Gegenüber den Umwälzungen dieses Jahrhunderts konnten sich derartige mittelalterliche Traditionen nicht mehr behaupten. Zeitlos bleibt aber die Maxime des Lübeckers Gütschow von 1815: "Wie auch künftig Deutschland gestaltet werden mag, so werden doch schwerlich jemals den schwächeren Staaten die guten nachbarlichen Verhältnisse gleichgültig sein dürfen."